Schloss Sans-Souci in Milot, Haiti
Dies ist ein Gastbeitrag von Fabienne Imlinger
Das Schloss Sanssouci ist das Herzstück des Park Sanssouci. Wir nutzen es im Folgenden, um uns mit Sichtbarkeit und Geschichtsschreibung beschäftigen. Dafür schauen wir in die Geschichte des Karibikstaats Haiti. 1813 wurde dort das namenverwandte Schloss Sans-Souci fertiggestellt. Selbstverständlich stellt sich die Frage, ob es irgendeine Verbindung zwischen Sanssouci in Potsdam und Sans-Souci auf Haiti gibt.
Jahrelang hat der architekturbegeisterte König Henry I persönlich die Bauarbeiten überwacht. Doch Sans-Souci ist mehr als ein opulenter Königssitz. Es ist ein Monument für die Nation, die sich von Sklaverei und Kolonialismus befreit hat.
Zehn Jahre liegt der Sieg gegen die französische Kolonialmacht zurück. Die Unabhängigkeitserklärung datiert symbolträchtig auf den 1. Januar 1804. Doch keine der europäischen Großmächte erkennt den neuen Staat an. Wir befinden uns im Zeitalter kolonialer Expansion. Die Europäer fürchten die Signalwirkung, die von Haitis Unabhängigkeit ausgeht. Deshalb ist das Land außenpolitisch isoliert. Außerdem droht eine neuerliche Invasion der Franzosen, die ihren Anspruch auf die einstige Kolonie noch nicht aufgegeben haben.
Im Inneren Haitis schwelen ebenfalls politische Konflikte, die auf die Revolutions- und Kolonialzeit zurückgehen. Der Ausbruch eines Bürgerkriegs kann 1807 nur durch die Teilung des Landes verhindert werden. Ab diesem Zeitpunkt herrscht General Henry Christophe über den Nordteil der Insel. Wie alle ehemaligen Revolutionskämpfer strebt er danach, Haiti als glorreiche Nation aufzubauen. Er setzt auf das Prestige der Monarchie und krönt sich im Jahr 1811 zu König Henry I. Die Strahlkraft königlicher Symbole, Einrichtungen und Bauwerke soll sowohl nach Außen als auch im Inneren wirken. „Für dieses Volk, das gemacht wurde um zu knien, bedurfte es eines Monuments, es auf seine Beine zu heben“. Diese Worte legt der Dichter Aimé Césaire Henry I in den Mund. Henrys kolossale Bauvorhaben interpretiert der Dichter als symbolische Geste zur Überwindung der Sklaverei.
Unweit einer Plantage namens Milot lässt Henry Schloss Sans-Souci sowie die Zitadelle Laferrière errichten. Die beiden monumentalen Gebäude sind als Residenz-Komplex angelegt. Ab 1813 residiert Henry mit seiner Familie und seinem Hofstaat auf Sans-Souci. Er unterhält dort außerdem einen intellektuellen Salon.
Das barocke Schloss wurde wahlweise als Versailles, als Schönbrunn oder als Potsdamer Sanssouci im Regenwald bezeichnet. Der Vergleich mit Potsdam liegt natürlich aufgrund der Namensgleichheit nahe. Allerdings ist aus den historischen Dokumenten nicht ersichtlich, dass Henry I seinen Palast bewusst nach dem Potsdamer Schloss benennt. Die Verbindung wird vielmehr nachträglich hergestellt, vor allen Dingen in Reiseberichten aus der Zeit zwischen 1820 und 1850. Darin finden sich Vergleiche zwischen Henry I und Friedrich II, die meistens dazu dienen, Henry zu verunglimpfen. Dass Sans-Souci in Milot nach Sanssouci in Potsdam benannt sein soll, wird trotzdem nicht in Frage gestellt.
In den Augen der meisten Europäer*innen ist klar: Sans-Souci kann nur die Kopie eines europäischen Vorbilds sein. Der eurozentrische Blick ist blind für die Originalität des Bauwerks. Auf Haiti gibt es aber damals bereits einen eigenständigen Baustil, der sich von europäischer Architektur unterscheidet. Sichtbar ist dieser Stil beispielsweise in der Kuppel des Palastes. Ungewöhnlich ist auch die Kombination unterschiedlicher Steinmetzarbeiten, die großes handwerkliches Können erfordern. Doch die Leistungen der haitianischen Architekten und Handwerker werden durch die eurozentrische Brille unsichtbar.
Das hat auch materielle Konsequenzen. Während Friedrichs Schloss in seiner ganzen Pracht vor Ihnen steht, ist das Schloss König Henrys heute eine Ruine. Kurze Zeit nachdem Henry am 8. Oktober 1820 auf Sans-Souci stirbt, wird der Palast geplündert. Ein schweres Erdbeben im Jahr 1841 bringt Sans-Souci endgültig zu Fall. Selbst die Ruine von Sans-Souci beeindrucken noch. Das eingefallene Mauerwerk erzählt von seiner einstigen Größe. Es bezeugt allerdings auch Henrys Willen zur Macht. Er war bereit über Leichen zu gehen, um zu herrschen. Unter den überwucherten Mauern von Sans-Souci liegt deshalb auch eine andere Geschichte begraben: die Geschichte von Jean-Baptiste Sans-Souci, einem ehemaligen Sklaven und Revolutionär.
Jean Baptiste Sans-Souci wird aus dem Kongo nach Saint-Domingue verschleppt, wie Haiti unter französischer Kolonialherrschaft heißt. Er gehört zu den Anführern der Sklavenaufstände von 1791, mit denen die Haitianische Revolution beginnt. Rund zehn Jahre später, im Jahr 1803 kämpft Sans-Souci im Unabhängigkeitskrieg gegen die Franzosen. Er leistet mit Guerillataktiken Widerstand, als sich sie die meisten Generäle der Haitainischen Armee bereits ergeben haben. Dank Sans-Soucis hartnäckigem Widerstand wendet sich das Blatt wieder zugunsten Haitis. Kein Wunder also, dass er sich den haitianischen Befehlshabern jetzt nicht mehr unterordnet. Immerhin haben einige von ihnen zuvor sogar die Franzosen unterstützt. Besonders mit einem der Generäle gerät Sans-Souci in Konflikt: es ist Henry Christophe, der spätere Henry I. Um Sans-Souci loszuwerden, lockt ihn Henry Christophe in der Nähe von Milot in einen Hinterhalt und tötet ihn.
Ganz in der Nähe dieses Hinterhalts errichtet Henry wenige Jahre später seinen Palast, der obendrein den Namen des Ermordeten trägt. Der haitianische Historiker Michel-Ralph Trouillot sieht darin eine symbolische Tötung: Henry nennt seinen Palast Sans-Souci, um das Andenken seines einstigen Widersachers auszulöschen. Diese paradoxe Form der Auslöschung durch Benennung führt der Historiker auf ein afrikanisches Vorbild zurück. Der Name des westafrikanischen Königreichs Dahomey geht nämlich auf einen ähnlichen Gründungsmord zurück.
So löst Trouillot den Namen Sans-Souci aus dem europäischen Kontext und bezieht ihn stattdessen auf das Naheliegende: die Geschichte der Haitianischen Revolution. Er stellt damit schließlich auch die Frage, welche Geschichten verschwinden, wenn Geschichte geschrieben wird.