Umbenennung des Rondells:
Die Gefahr von Schmuck und Schminke

Am 2. September 2020 gab die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten bekannt, dass sie das sogenannte “M-Wort-Rondell” in “Erstes Rondell” umbenennen wird. In einer Pressekonferenz am 14. Mai 2021 bestätigte die Stiftung diese Entscheidung und enthüllte eine Informationstafel, die diese Umbenennung vor Ort kontextualisiert. Auch am 20. August 2020 gab das Bezirksamt von Berlin-Mitte bekannt, dass es der zukünftigen Umbenennung der “M-Wort-Straße” in “Anton-Wilhelm-Amo-Straße” zustimmt. In ähnlicher Manier gab auch das Hotel “Drei M-Worte” am 12. August 2020 in Augsburg bekannt, dass es seinen Namen ändern wird.

Mit diesen drei Beispielen scheint es, dass deutsche Institutionen und ihre (meist weißen) Entscheidungsträger*innen endlich anfangen, auf die seit mehr als dreißig Jahren von afrikanischen und afro-diasporischen Stimmen erhobenen Forderungen zu hören. In der Tat fordern Aktivist*innen seit den 1990er Jahren das Verschwinden des M-Wortes aus dem Stadtbild. Offensichtlich hat die Debatte über rassistische Sprache in Deutschland von der internationalen #BlackLivesMatter-Bewegung und ihren Forderungen in Bezug auf Denkmäler, Statuen und Straßennamen profitiert.

Doch diese willkommene Entwicklung wird durch einen Backlash in der euro-amerikanischen politischen Sphäre getrübt. Mitglieder der heterogenen Demonstration, die August 2020 gegen die SARS-CoV2-Maßnahmen in Deutschland protestierten, schwenkten ungeniert die schwarz-weiß-rote Fahne des Deutschen Kaiserreichs, während sie die Treppen des Reichstags besetzten. Auf der anderen Seite des Atlantiks stürmten Januar 2021 Tausende von Trump-Anhänger*innen das Kapitol und schändeten Büros und Staatssymbole, ohne von der Polizei niedergeschossen zu werden, ohne mit Tränengas angegriffen zu werden, ohne überhaupt angehalten und durchsucht zu werden. Das muss als Beweis dafür gelesen werden, welche Leben strukturell mehr zählen als andere.

Außerdem, wenn Statuen von (zumeist männlichen) Sklavenhändlern umgestürzt werden, offenbaren einige Reaktionen, was schon immer da war: der Widerwillen vieler weißer Menschen, sich mit der kolonialen Vergangenheit auseinanderzusetzen, ihre gegenwärtigen Konsequenzen zu thematisieren und ihre eigene Privilegien zu hinterfragen. Umbenennungen wie die des “Ersten Rondells” erwecken immer wieder Stimmen in den Medien und im Internet, die sich auf Argumente gegen das berufen, was sie “politische Korrektheit” oder “cancel culture” nennen, meist ohne die tiefere Bedeutung dekolonialer Prozesse zu berücksichtigen. Einige Interventionen von Politiker*innen in Deutschland (z.B. Wolfgang Thierse) und Frankreich (z.B. Frédérique Vidal, Jean-Michel Blanquer, Jean-Louis Bianco) haben zudem in den letzten Jahren intersektionale, feministische, postkoloniale und dekoloniale Kritik mit Begriffen etikettiert, die an die Rhetorik der Alt-Right erinnern.

Wir glauben jedoch, dass symbolische Handlungen wie die Umbenennung des Rondells tatsächlich an einer langfristigen Bewegung teilnehmen können. Sie könnten Bewusstsein für die anhaltende Präsenz von institutionellem Rassismus, neokolonialen Machtverhältnissen und Fragen der Repräsentation schärfen, Debatten, in denen einige Akteure (weitgehend weiße Männer) noch nicht über ihre Legitimität, sich zu äußern, nachgedacht haben. Um produktiv zu sein, sollten diese Umbenennungen oder das Umstürzen von Statuen jedoch keine kosmetischen Maßnahmen sein – ein bisschen Puder hier, ein bisschen Schminke dort – sondern Möglichkeiten für strukturelle Veränderungen.

Wenn sich deutsche Institutionen nicht langfristig mit dem Erbe des Kolonialismus auseinandersetzen, laufen solche Umbenennungen Gefahr, nur das zu sein, was Jens Nordalm “einen guten Anfang” genannt hat. Eine problematische Installation umzubenennen, ohne sie neu einzurahmen oder gar zu ändern, perpetuiert den Diskurs, den diese Installation über Jahrhunderte befeuert hat, wie der kenianische Wissenschaftler Oduor Obura im Fall des Rondells argumentiert hat. Die Aktivistin Daniela Ortiz deklarierte sogar, dass die Bewahrung kolonialen Kulturerbes im Stadtbild eine willentliche Aufrechterhaltung des Kolonialismus in der Gegenwart zeigt.

Schließlich dürfen Institutionen, die (zu) lange brauchten, um ihre koloniale Vergangenheit zu erkennen, sich mit solchen Veränderungen nicht schmücken, sondern langfristige Prozesse anfangen, die Machthierarchien sowohl in Darstellungen als auch in ihren internen Strukturen in Angriff nehmen. Apropos oberflächliche Schminke, die weitere Präsenz von überlebenden Mitessern auf Info-Tafeln der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten zeigt, dass die Umbenennung des Rondells nicht mal mit einer sorgfältigen Arbeit der Kulturvermittlung begleitet wurde (siehe Foto unten).

Info-Tafel am Oranierrondell, die das M-Wort-Rondell immer noch nennt (Foto: Yann LeGall, am 09.09.2021)

Also was nun?

Es gibt bereits mehrere Beispiele für den Umgang mit rassistischen Darstellungen in der Öffentlichkeit und wir glauben, dass sie eine fruchtbare Grundlage für eine Debatte über die Zukunft dieses Rondells bieten.

Eine Informationstafel, die über den ehemaligen Namensgeber einer Straße, den neuen Namensgeber und über den Prozess der Umbenennung informiert, ist das Mindeste, was man fordern sollte, damit Passant*innen über die Geschichte des Kolonialismus und der dekolonialen Prozesse stolpern und lernen können. So geschah es in Berlin mit dem ehemaligen Gröbenufer (jetzt May-Ayim-Ufer) im Jahr 2010 und neuerdings mit der Wissmannstraße (jetzt Lucy-Lamek-Straße) im April 2021. Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten hat eine Info-Tafel errichtet, und wir begrüßen diese Entscheidung.

Die Statue des ehemaligen Gouverneurs von Deutsch-Ostafrika Hermann von Wissmann, deren Geschichte stark von ihrer Reise von Dar es Salaam nach Großbritannien, dann Hamburg und Berlin geprägt ist, zeigt eine mögliche Flugbahn für diese “Zeichen des Potentaten” (Mbembe): Im Kontext kritischer Ausstellungen zur Kolonialzeit werden sie nicht aufgehoben, sondern beteiligen sich aktiv an der Aufarbeitung schwieriger Vergangenheiten und der Auseinandersetzung mit institutionellen Spuren im Stadtbild, wie es 2015-2016 in der Sonderausstellung “Deutscher Kolonialismus” im Deutschen Historischen Museum mit Wissmann liegend und vollgeschmiert gezeigt wurde. Die vier Büsten von Afrikaner*innen könnten dem gestürzten Wissmann folgen und von Sanssouci wegreisen, um in zukünftigen Ausstellungen als Zeugen der Geschichte von Rassismus, Exotismus und dem transatlantischen Handel mit versklavten Afrikaner*innen zu dienen.

In Bristol besetzte der Künstler Marc Quinn eine Woche nach dem Sturz von Edward Colston opportunistisch den Raum mit einem seiner Kunstwerke benannt “A Surge of Power”, einer Statue der #BLM-Aktivistin Jen Reid, die eine Woche zuvor mit erhobener Faust auf dem leeren Sockel gestanden hatte. Quinn erklärte, dass diese Statue “kein dauerhaftes Kunstwerk” sei, organisierte zumal eine Pressekonferenz mit Jen Reid und zeigte damit in gewisser Weise ein selbstreflexives Verhalten, das ihm den Status eines “Verbündeten” der #BLM-Bewegung in den Worten der Booker-Preisträgerin Bernardine Evaristo einbrachte. Dennoch wurde diese Intervention eines wohlhabenden, in London lebenden weißen Künstlers in eine von Schwarzen geführte Bewegung auch als Ausnutzung des politischen Moments für das eigene Prestige kritisiert. Auch wenn sie einen Perspektivwechsel in der Repräsentation vorschlug und eine Debatte über die mögliche Zukunft des Platzes und der angrenzenden Colston Avenue entfachte, offenbarte Quinns Intervention die Gefahr einer scheinbaren Solidarität. Sie zeigte, wie die Frage der Repräsentation über die Frage hinausgeht, wer überhaupt dargestellt wird, denn es geht auch darum, wer die Entscheidungsmacht hat, wer die Deutungshoheit besitzt und wer von politischen Bewegungen finanziell profitiert.

Screenshot des Vortrags von Daniela Ortiz bei dem Panel "All Statues Must Fall? Conflicts and Iconoclasm in Public Space"
Digital Festival Everything Passes Except the Past, Fondazione Sandretto Re Rebaudengo
https://youtu.be/x3IGKNSW_yU?t=1227

Auf der anderen Seite des Atlantiks steht das Reiterstandbild des Theodore-Roosevelt-Denkmals in New York noch immer mit seiner eindeutigen kolonial-rassistischen Hierarchie. Seit 80 Jahren ist es ein täglicher Anblick für New-Yorker*innen und ein Wahrzeichen für Tourist*innen. Im vergangenen Jahr wurde die Künstlerin Daniela Ortiz vom Stadtrat gebeten, einen Vorschlag für ein neues Denkmal zu machen, das diese schamlose Zurschaustellung weißer Vorherrschaft ersetzen sollte. In ihrem Entwurf für ein neues Denkmal entfernte sie die weiße männliche Figur aus der Installation und zeigt die indigene-amerikanische Figur, die Schwarze Figur und das Pferd “ruhend” (siehe Foto). In ihren Worten genießen sie eine wohlverdiente “Freizeit nach dem Kampf” und liegen auf einem Sockel, dessen vier Seiten an verschiedene antikoloniale Bewegungen erinnern. 

In ähnlicher Weise könnte die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten eine Ausschreibung für eine neue künstlerische Installation anstelle (oder auch mit) der vier Schwarzen Büsten des Rondells veröffentlichen. Viele zeitgenössische afrikanische, afro-diasporische Künstler*innen oder Künstlerkollektive haben sich bereits mit der Geschichte des Versklavungshandels auseinandergesetzt (siehe Kardux, “Monuments of the Black Atlantic”). Eine neue Installation, die sich mit dieser Geschichte auseinandersetzt und die bestehende koloniale Hierarchie bricht, wäre in diesem imperialen Park mehr als willkommen.

Text: Yann LeGall, Übersetzung: Harriet Schulz & Paul Urbanski

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