Koloniales Vermächtnis:
Zwarte Piet in Potsdam
Am Mittwoch den 09.12.2015 fand im T-Werk in Potsdam eine Podiumsdiskussion statt, bei der der Zusammenhang von Rassismus und der deutschen und niederländischen Blackfacing Tradition thematisiert wurde. Konkreter Anlass dieser Veranstaltung war die in Potsdam höchst emotional verlaufende Debatte um das Sinterklaasfest und vor allem dem Auftritt der Zwarten Pieten. Erfreulicherweise hat die Stadt Potsdam beschlossen dieses Fest nicht mehr finanziell zu unterstützen, sofern es weiterhin die rassistische Praxis des Blackfacing der Zwarte Pieten Figuren beinhaltet. Die Stadt Potsdam spricht sich somit gegen das Fortschreiben kolonialer Vermächtnisse aus. Der Förderverein zur Pflege niederländischer Kultur in Potsdam e.V. sowie einige Potsdamer Bürger_innen können diese Entscheidung jedoch nicht nachvollziehen und trauern der schwarz angemalten, clownhaften Dienerfigur, die bis dato Teil des Festes war, nach und sehen sie als elementaren Bestandteil der niederländischen Tradition und verstehen dabei Tradition als unveränderbare Konstante.
Die Idee hinter der Podiumsdiskussion, die hauptamtlich von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland Bund e.V. (ISD) ausgerichtet und von zahlreichen anderen Initiativen – u.a. von uns – unterstützt wurde, war es, über die kolonialrassistischen Wurzeln der Pieten Figuren aufzuklären. Bis zuletzt sind leider in der Lokalpresse hauptsächlich die Stimmen von Menschen zu lesen, die nicht Opfer von Rassismus werden und zudem unzureichende Vorstellungen davon haben, was Rassismus eigentlich ist. Auf diese Weise wurde bisher versäumt, die noch recht weit verbreiteten Wissenslücken in Bezug auf Rassismus ausreichend zu füllen. Es wird immer noch häufig betont, dass weder Blackfacing noch bestimmte rassistische Worte böse oder herabwürdigend gemeint seien. Dabei wird ignoriert, dass trotz anderer Intention der Effekt von (Sprach-)Handlungen verletzend sein kann. Des Weiteren bleibt durch recht einseitige Berichterstattung in lokalen Medien und in Kommentaren in den sozialen Medien der falsche Eindruck bestehen, es handele sich um eine sehr kleine Gruppe radikaler Aktivist_innen, die Potsdam sein überaus geliebtes und traditionsreiches Kinderfest wegnehmen möchten. Dem ist eindeutig nicht so. An der Organisation der Veranstaltung war nicht nur die ISD, sondern auch der Afrika-Rat Berlin-Brandenburg, das European Network of People of African Descent (ENPAD), Potsdam Postkolonial, die Antidiskiminierungsberatungsstelle Brandenburg und Verbündete aus den Niederlanden beteiligt. Bereitwillig gefördert wurde die Veranstaltung von der Stadt Potsdam, der Amadeu Antonio Stiftung, dem AStA der Universität Potsdam und der Rosa Luxemburg Stiftung, bei denen wir uns herzlich bedanken. Bei der Podiumsdiskussion sollten die Stimmen von Menschen gehört und gestärkt werden, die sich in Potsdam und darüber hinaus gegen Rassismus und seinen Widerhall in der Gesellschaft stellen. Die öffentliche Veranstaltung war sie zudem als Einladung zum Dialog für alle interessierten Bürger_innen und die Lokalpresse gedacht.
Moderiert wurde der Abend von Jamie Schearer von der ISD, den ersten Input bot Jessica de Abreu, u.a. Mitbegründerin der niederländischen Aktivistengruppe Kick Out Zwarte Piet (KOZP). Jessica betonte wie wichtig sie den Austausch zwischen Deutschland und den Niederlanden findet, ganz besonders in Bezug auf die Sichtbarmachung von kolonialrassistischen Traditionen und in den Bestrebungen nach Veränderung. Sie erklärt, dass die Zwarten Pieten ein Überbleibsel der Versklavung Schwarzer Menschen sind und wie hoch problematisch es ist, dass das Sinterklaasfest also quasi eine Ikonographie der Sklaverei feiert und das sogar trotz einer offiziellen UN Erklärung gegen die Praxis. Durch das jährlich stattfindende Fest, das unter anderem von Liedern, (Schoko-)Figürchen und Werbeanzeigen, die schon einige Monate vorher in Erscheinung treten, begleitet wird, werden Kinder seit Jahrzehnten im frühesten Alter mit rassistischen Bildern konfrontiert, die natürlich stark – wenn sicher auch unterbewusst – ihr Verständnis von Schwarzen Menschen prägen. Dies ist sowohl für weiße als auch für Schwarze Kinder schädlich: weiße Kinder werden dazu erzogen auf Schwarze Kinder herab zu gucken, Schwarze Kinder werden dazu erzogen, zu glauben sie seien vielleicht tatsächlich ähnlich lächerlich wie die Zwarten Pieten. Derartige Denkweisen begünstigen die Fortführung von institutionellem Rassismus: Jessica erzählte, dass Schwarzen Niederländer_innen in der Regel nahe gelegt wird eher niedrigere Schulformen anzustreben, für sie wird der Besuch eines Gymnasiums oder ein Universitätsstudium nicht als Selbstverständlichkeit angesehen. Doch Jessica selbst ist das beste Beispiel, dass Schwarze Menschen nicht wie der Piet in dienenden und albernen Rollen bleiben müssen, sie hat gleich mehrere Masterabschlüsse trotz des früher für sie empfohlenen Hauptschulbesuches. Jessica berichtete ausführlich über die Proteste gegen die Pieten in den Niederlanden. In den letzten Jahren endeten diese häufig darin, dass friedliche Protestierende gewaltsam von der polizeilichen Staatsgewalt verhaftet wurden. Die Forderung die eigene politische Stimme erheben zu können, auch wenn es vielleicht manchmal nur in Form einer T-Shirt Aufschrift oder durch schiere Anwesenheit als Schwarze Person ist, wird als Störung der kolonialen öffentlichen Ordnung wahrgenommen. Jessica macht sich stark dafür, dass die Pieten gar nicht mehr mit Sinterklaas auftreten. Sie sollen nicht ungeschminkt oder bunt geschminkt dabei sein, denn eine kleine kosmetische Veränderung verändert ihrer Meinung nach nicht die grundlegenden kolonialen Ideen, die dieses Set-Up repräsentiert.
Elisabeth Nechutnys bot den zweiten Input des Abends an. Sie arbeitet an der Universität Potsdam und ist Mitbegründerin von Potsdam Postkolonial, einem Arbeitskreis von Weltweiterdenken e.V., der in Potsdam kulturelle Veranstaltungen, Stadtführungen und Seminare organisiert, um dadurch auf das koloniale Vermächtnis Brandenburgs und Deutschlands hinzuweisen. In ihrem Vortrag thematisierte sie die frühe Kolonialvergangenheit Brandenburg-Preußens, das im späten 17. Jahrhundert an der Küste des heutigen Ghanas die Handelskolonie Großfriedrichsburg etablierte und sich damit eine Basis für den in Folge stattfindenden Handel mit Elfenbein, exotischen Tieren und Schwarzen Menschen, die als Sklaven in die Amerikas verschleppt wurden, schuf. In den Jahren der brandenburgischen Herrschaft über die Kolonie wurden zwischen 10.000-30.000 Menschen, von denen 1/10 die Fahrt nicht überlebte, zwangsweise transportiert. Heute ist dieses Unterfangen vielen Menschen in Brandenburg gar nicht bekannt, so wird es zum Beispiel im Geschichtsunterricht nicht angesprochen und Hinweise auf die Historie fehlen auch im Stadtbild und den meisten Reiseführern der Stadt Potsdam völlig. Dennoch sind Spuren der Kolonialzeit und ihrer ausbeuterischen Praxen auf Gemälden in Potsdamer Schlössern und in den Statuen im Park Sanssouci zu finden. Elisabeth wies darauf hin, dass sich der Kurfürst schon zur ersten Reise nach Großfriedrichsburg sogenannte Hofmohren für seinen Hof bestellt hatte und auch das Ende der Kolonie ist mit dem Erwerb von jungen Schwarzen Männern verbunden, die der preußische Hof im Tausch für den Verkauf der Kolonie Großfriedrichsburg an die Niederländer 1718 erhielt. Diese namenlosen Diener, oft mit Goldschmuck und exotischen Kostümen verziert, erscheinen in Folge auch häufig auf Gemälden preußischer Hofmaler und werden auch heute noch komplett unkommentiert in Potsdamer Schlössern ausgestellt. Abschließend thematisierte Elisabeth noch das wiederkehrende Interesse an der Geschichte Großfriedrichsburgs ab dem Jahre 1885 („Afrikakonferenz“) und einhergehend mit dem aufstrebenden deutschen Nationalstaat und Nationalbewusstsein des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts.
Marianne Ballé ist neben vielen anderen Tätigkeiten stellvertretende Vorsitzende des Afrika-Rats und Mitbegründerin der Pan-African Women’s Empowerment and Liberation Organization (PAWLO) e.V. Wie Jessica lehnt sie die Zwarten Pieten in Gänze ab. Sie weist darauf hin, dass in diesem Jahr die internationale UN Dekade für Menschen mit afrikanischen Wurzeln begonnen hat. Schon in der Deklaration von Durban, einer UN Weltkonferenz gegen Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängender Intoleranz, wurde klar anerkannt, dass Menschen mit afrikanischen Wurzeln, die heutzutage weltweit verstreut leben, Opfer von Sklaverei, Sklavenhandel und Kolonialismus waren, und immer noch häufig unter den Konsequenzen leiden müssen. Die Podiumsdiskussion, sowie die potentielle Abschaffung der traditionellen Begleitung des weißen Sinterklaas können, so Marianne, als Beitrag zur UN-Dekade für Menschen afrikanischer Wurzlen gelesen werden. Sie erklärt die drei Säulen der Dekade: (1) Anerkennung, (2) Gerechtigkeit und (3) Entwicklung. Im Falle der Abschaffung von Potsdams Zwarten Pieten wäre dies eine Anerkennung von Kolonialismus als umfassende Zerstörung; es würde für mehr Gerechtigkeit sorgen, weil Rassismusvorwürfe ernst genommen würden; und es wäre eine Entwicklung im Sinne eines Miteinanders, gegen die vorherrschende exklusive Kluft. Marianne betont die Wirkkraft der internationalen Ebene. Wenn man zum Beispiel die Instrumente der UN kennt – den Aktionsplan von Durban oder die Dekade der Menschen mit afrikanischen Wurzeln – kann man diese nutzen und andere Darstellungsformen gegen die fortgeführte Namenslosigkeit und Verschleppung von der Blackfacing spricht finden. Wir alle sollten lernen, dass nicht nur Nazis rassistisch handeln, sondern das die konstante Entmenschlichung von verschiedenen sozial konstruierten Menschengruppen fast gesamtgesellschaftlich getragen wird und sich geschichtlich leider immer wiederholt.
Die letzte Vortragende an dem Abend war Doris Liebscher, eine an der Humboldt Universität zu Berlin tätige Antidiskriminierungs- und Rechtsexpertin. Sie weist darauf hin, dass die Formulierungen der Verfassung des Landes Brandenburg vergleichsweise fortschrittlich sind. So heißt es in Artikel 7a (zum Schutz des friedlichen Zusammenlebens): „Das Land schützt das friedliche Zusammenleben der Menschen und tritt der Verbreitung rassistischen und fremdenfeindlichen Gedankenguts entgegen“. Auf dieser Grundlage ist es in jedem Fall rechtlich durchsetzbar die staatliche Finanzierung der Pieten zu streichen. Des Weiteren können die Zwarten Pieten als Form von „Hate Crime“ gelesen werden. Doch wendet Doris an dieser Stelle ein, dass solch eine Klage juristisch sicher nicht erfolgreich wäre und sich die von Diskriminierung betroffenen Anzeigenden stark exponieren und damit zur Schau stellen müssten. Doris spricht aus ihren Erfahrungen und erklärt, dass man, wenn man in Deutschland tatsächlich einen guten Rechtsspruch gegen Rassismus erlangen möchte, erst mehrere Instanzen durchschreiten muss. Dies liegt daran, dass Recht Auslegungssache bleibt und in Deutschland ein Großteil der Jurist_innen weiß ist, was häufig gleichbedeutend mit weniger Wissen und auch Empathie in der Rassismusthematik sei. Auch Doris betont die Wichtigkeit der internationalen Vernetzung, um die Thematik Rassismus und Diskriminierung besser zu durchschauen.
Wir haben uns über die Diversität und unterschiedlichen Stimmen aus dem Publikum gefreut und darüber, dass Bürgerinnen und Bürger der Stadt Potsdam die Einladung wahrgenommen haben, sich zu informieren.
Leider fand sich die eingeladene Lokalpresse nicht zu der Podiumsdiskussion ein, so dass die gesamte Diskussion nach wie vor erstaunlich einseitig in der Potsdamer Medienlandschaft präsentiert wird. Erst recht, da die Stimmen von Herrn Göbel und Herr Baier vom Förderverein zur Pflege Niederländischer Kultur in Potsdam e. V. nach deren Pressekonferenz prominent in Potsdam wiedergegeben wurden.
Für die Zukunft wünschen wir uns daher eine differenzierte Darstellung, die Stimmen der von Rassismus Betroffenen hört und ernst nimmt.