„Unfug“ im Geschichtsunterricht

Mnyaka Sururu Mboro über die sogenannte Entdeckung des Kilimandscharo

Mnyaka Sururu Mboro ist 1951 geboren. Er ist Tansanier und Mitgründer der NGO Berlin Postkolonial e.V. Er setzt sich seit den 1980er Jahren für die Anerkennung und eine kritische Aufarbeitung der deutschen Kolonialzeit. Er leitet Rundgänge im sogenannten „Afrikanischen Viertel“ in Berlin und ist Vorstandsmitglied des Bündnis Decolonize Berlin e.V.  Hier erzählt er uns von seiner persönlichen Erfahrung mit kolonialem Blick auf Geschichtserzählung und gibt uns einen Vorschlag für einen kritischen Umgang mit der so-genannten „Spitze des Kilimandscharo“ im Neuen Palais in Potsdam.

Ich komme aus Tansania, genauer gesagt, am Fuß des Kilimandscharo. Dieser Stein im Neuen Palais erinnert mich an vieles, vor allem was ich während der Kolonialzeit im Geschichtsunterricht erlebt habe. Als ich in der Schule war, war Tansania noch nicht unabhängig. In der 2. Klasse hat unserer Lehrer mal uns gefragt:

Wisst ihr überhaupt wer den Berg Kilimandscharo entdeckt hat?
Nein, wissen wir nicht.“
Das sag ich euch gleich.

Mboro
Kilimanjaro
Colonial station
Mangi Meli tree
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Es war ein Deutscher Namens Rebmann, der 1848 Kilimandscharo entdeckt hat. Ist das nicht schön?“
Was sollten wir sagen? Wir waren Kinder.
Ja, es ist schön. Asante sana!“
Dann haben wir Feierabend gehabt und ich bin nach Hause gegangen. Ich bin wie jeden Tag schnell zu meiner Oma gerannt. Sie war mir eine sehr wichtige Person. Sie hat mir viel über Geschichte erzählt, sogar viel mehr als die Lehrer in der Schule. Also kam ich stolz zu ihr:
Bibi (Oma), weist du was wir heute gelernt haben?“
Nein, was denn? Erzähl mal!“
Heute haben wir gelernt wer unseren Berg Kilimandscharo entdeckt hat.“
Was?!“
Ja, Herr Michael hat uns gesagt, ein Deutscher Namens Rebmann hat den Berg entdeckt.“
Meine Oma war auf einmal sehr wütend, ich konnte das in ihren Augen sehen. Dann hat sie mir gesagt:
Hau ab, Schwein! Morgen gehen wir zusammen zu diesem Lehrer, der euch diesen Unfug erzählt.“

Ich hatte meine Oma damals nicht verstanden und konnte in der Nacht nicht schlafen, weil ich mich geschämt habe, dass meine Oma morgen früh zur Schule mitkommen würde.
Tatsächlich hat sie mir wieder am morgen gesagt:
Komm, wir gehen zusammen und ich werde mit deinem Lehrer sprechen.“

Wir kamen dort an und immer vor dem Unterricht mussten wir vor dem Gebäude da wie das Militär in Schlangen stehen. Wie jeden morgen hat unsere Schulkapelle ein Lied gespielt, beim dem wir immer mitsingen mussten. Es ging: „Salaam Mfalme King George / Salaam Mfalme King George“ und so weiter… Es bedeutet “Grüße an King George”, dem damaligen britschen König. Es war ein Ritual während der britischen Kolonialzeit, der mir immer noch weh tut, wenn ich daran denke.

Nach diesem Ritual ist meine Oma direkt zu Herr Michael gegangen und hat ihn gefragt:
Was hast du meinen Junge erzählt?“
Ja, Oma Tawaia, was habe ich denn ihm erzählt? Das weiß ich nicht mehr…“
Hast du nicht gesagt, dass der Berg Kilimandscharo von Herrn Rebmann, einen Deutscher, entdeckt wurde?“
Ja, das ist ja richtig und die Kinder sollten das lernen!“
Meine Oma war sofort wütend und hat gar nichts mehr gesagt, sondern sie hat den Lehrer mit ihrem Gehstock geschlagen, wollte auch noch einen zweiten Mal aber dann ist der Lehrer weggerannt und sie hinterher, aber der Lehrer war schneller. Alle Kinder haben sich tierisch gefreut! Alle haben gelacht… außer ich, weil ich mich davon geschämt hab.

Aber wenn ich jetzt heute darüber denke, dann finde ich sie hat richtig getan. Wenn ich so eine Gelegenheit kriege, dann würde ich das gleiche tun, oder sogar ihm extra Schläge geben.

Nahaufnahme und Objektunterschrift: "Spitze des Kilimandscharo - 1890" (Foto: Yann LeGall)

Meiner Meinung nach, dieses Steinchen da an der Wand im Neuen Palais soll da bleiben. Aber was ich gerne möchte – oder was dort stehen muss – ist eine Infotafel, die die ganze Geschichte der deutschen Kolonialzeit im Kilimandscharo-Gebiet erzählt, darunter auch wie brutal die Deutschen mit der lokalen Bevölkerung waren. Es geht nicht nur um diesen Berg, es geht auch darum, wie viele Menschen aufgrund der Gewalt ihr Leben verloren haben. Hier wir sehen den Stein, aber es gibt auch viele menschliche Gebeine aus dem Kilimandscharo Gebiet, auch von Fürsten, die gestohlen und hier überall in Museen, Universitäten, Kliniken, gelagert wurden.

Diesen wollen wir unbedingt zurück haben. Die grausame Geschichte von Unterdrückung und Rassenforschung soll auch dort im Neuen Palais erzählt werden. Es geht nicht nur um die Spitze, sondern auch um einen tiefen kritischen Umgang mit der Kolonialgeschichte und wie sie erzählt wird.

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