Die Orangerie in Potsdam, die Boxerbewegung in China und astronomische Instrumente

Das Orangerieschloss ließ sich Friedrich Wilhelm IV. zwischen 1851 und 1864 bauen. Es diente hauptsächlich zur Überwinterung von tropischen Kübelpflanzen aus dem Park Sanssouci. Die Verbindung dieses Gebäudes mit der deutschen Besetzung Chinas ist wenig bekannt. Doch zwischen 1901 und 1919 wurden in der Orangerie außerdem astronomische Instrumente aus China ausgestellt. Die hatte das deutsche Militär nach dem sogenannten „Boxeraufstand“ bei einer Plünderung in Beijing mitgenommen. Heute stehen die astronomischen Instrumente nicht mehr in der Orangerie. Aber wir wollen uns diese Geschichte trotzdem einmal genauer anschauen. Wir werden dabei feststellen, dass Boxeraufstand eine Fremdbezeichnung ist. In China selbst wurde dieser Konflikt zw. China und Europa als Gerechtigkeitsbewegung verstanden.

Seit 1882 ließen sich deutsche Jesuiten in der Provinz Shandong an der chinesischen Ostküste nieder. Sie wollten Einheimische missionieren. Ebenfalls zu der Zeit interessierte sich  der deutsche Kaiser für die Errichtung eines Marinestützpunkt an der chinesischen Küste. Großbritannien besaß schon seit 40 Jahren einen Stützpunkt in Hong Kong. Die Deutschen warteten noch auf ihre Chance. Als 1897 zwei deutsche Geistliche in China ermordet wurden, nutzte Kaiser Wilhelm II. den Vorfall als Vorwand für eine militärische Intervention. 600 deutsche Soldaten besetzten die Küstengebiete der Shandong Halbinsel. In Folge erzwangen die Deutschen die Ausstellung eines Pachtvertrags mit 99 Jahren Gültigkeit. China musste Widerwillen die besetzten Gebiete an Deutschland abgeben. Von 1898 bis zum Beginn des ersten Weltkriegs galt Kiaotschou als deutsche Kolonie. Die größte Stadt des Gebiets, Qingdao, diente als administratives Zentrum. Sie sollte als moderne, deutsche Vorzeigestadt dienen. Krankenhäusern, Schulen, eine Universität, Telegraphenmasten und eine deutsche Bierbrauerei entstanden. Tsingtao Bier kennen Sie vielleicht, das gibt es immer noch.

Kaiser Wilhelms Hunnenrede
Photographie von Kaiser Wilhelms “Hunnenrede" am 27. Juli 1900 (Quelle: Bundesarchiv)
Die lokale chinesische Bevölkerung lehnte sich schon bald gegen die fremde Herrschaft auf. Die ersten Revolten schlugen die Deutschen Kräfte brutal nieder. Aber der Widerstand wuchs dennoch zu einer richtigen Bewegung, die sich „Yi He Tuan“ nannte. Das heißt so viel wie „Kampfkünstler*innen vereint in Harmonie“. Europäer*innen nannten diese Gruppe jedoch Boxer, was ihr Unwissen über die Gong Fu Kunst verdeutlicht. In vielen besetzten Gebieten entlang der chinesischen Küste, überfielen die chinesische Widerstandsbewegung deutsche, französische, italienische und britische Soldaten und Missionare. In ihren Parolen bekannte sich die Bewegung zur Qing Dynastie. Cixi, die Witwe des chinesischen Kaisers, beschloss die Widerständigen offiziell zu unterstützen. Sie sandte ihre Armee, um die europäischen Truppen zu vertreiben. Als Reaktion beschlossen die fremden Regierungen der Besatzungsländer eine „Acht Nationen Allianz“ zu gründen. Die Allianz bestand aus Japan, USA, Großbritannien, Russland, Frankreich, Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien. Mit einer Verstärkung von 20.000 europäischen Soldaten richteten sie sich gegen China. Letztendlich mussten die Chines*innen zurückziehen. Beijing wurde im Sommer 1901 belagert und geplündert. Der in Potsdam geborene General Alfred von Waldersee ordnete eine harsche Bestrafung der chinesischen Widerstandskämpfer*innen an. Deutsche Soldaten sollten alle, die rund um Beijing möglicherweise zu den so genannten Boxern gehörten, hinrichten. Als Folge dessen verloren tausende Zivilist*innen ihr Leben.  Zudem beanspruchte General Waldersee den Hauptwohnsitz der Kaiser-Witwe Cixi für sich selbst. Er vollendete damit ihre Erniedrigung. Tatsächlich hatte der deutsche Kaiser den Weg für diese Gewaltakte bereitet. Ein Jahr zuvor, also 1900, forderte er die Soldaten, die nach China aufbrachen, auf, keine Gnade walten zu lassen. In seiner berühmt-berüchtigten Hunnen Rede sagte er Folgendes:
„Kommt ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer euch in die Hände fällt, sei euch verfallen! Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutscher in China auf 1000 Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, daß es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!“
Seitdem werden Deutsche im englischen Sprachraum immer noch abwertend als Hunnen bezeichnet.
astronomische instrumente observatory beijing
Die astronomischen Instrumente heute, auf dem Dach des Observatorium in Beijing (Foto: Michael Gunther, Wikimedia Commons)

Nachdem die chinesische Führung kapituliert hatte, diktierten die Siegermächte ein Nachkriegsabkommen.  Alle Regierungsmitglieder, die die die Widerstandsbewegung unterstützt hatten, sollten exekutiert werden. Zudem sollte China 450 Millionen Silbertaler – ca. 10 Milliarden Euro – an die acht Nationen zahlen. Der deutsche Kaiser verlangte, dass sich eine chinesische Delegation persönlich in Potsdam für die so genannten Boxeraufstände entschuldigen solle. Also reiste Prinz Chun nach Potsdam. Am 4. September 1901 fand eine offizielle Zeremonie für die Sühnemission aus China im Grottensaal des Neuen Palais statt. Um etwas Würde zu wahren, weigerte der Prinz sich aber vor dem Kaiser niederzuknien.

Während dieses deutsch-chinesischen Konflikts, fanden die astronomischen Instrumente aus Beijing ihren Weg nach Potsdam in die Orangerie. Als die deutschen Soldaten Beijing plünderten, bedienten sie sich auch im Observatorium und schifften einige astronomische Instrumente nach Potsdam. Doch nachdem Deutschland den ersten Weltkrieg verlor, forderte China sie zurück. Die unbedingte Rückgabe wurde im Versailler Vertrag festgehalten. Seit 1920 stehen sie wieder vor dem Observatorium in Beijing.

Text von Yann Le Gall, Übersetzung ins Deutsche von Anna von Rath

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